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Die Rikschabauer

Eine ganz interessante Story bieten die beiden Tübinger Stefan Rickmeyer und Michael Zeuner als sie vor 6 Jahren eine gute Idee hatten.


Der Gedanke war, Touristen und Einheimische mittels einer Rikscha eine Stadtführung in Tübingen der besonderen Art anzubieten.
Aufgrund der Finanzen wurde zunächst ein Rikschataxibetrieb mit damals 6 indischen Rikschas eröffnet.
Das Unternehmen „Riksch-Radsch.de“ war geboren.
Leider mussten die beiden sehr schnell feststellen, dass die Qualität der indischen Rikschas sehr zu wünschen übrig lässt. Allein der Zusammenbau war eine Meisterleistung für sich.
Nach der Montage wurde dann den beiden auch gleich das nächste Problem bewusst. Die Rikschas liefen nicht richtig und keiner konnte sich erklären an was das lag.

Eine genaue Analyse ergab, dass die Lager der Rikschas sehr schlecht waren. Dies allein konnte aber nicht der Grund für die schlechten Fahreigenschaften sein.
Nach ca. 30 Minuten Fahrt mit der Rikscha war man körperlich am Ende und musste einfach eine Pause machen.

Die Kundschaft stand Schlange und die beiden mussten sich also schnell eine andere Lösung einfallen lassen.
Zunächst wurde der Gedanke des ganzen Konzepts in Frage gestellt, aber einem glücklichen Umstand war es zu verdanken, dass die beiden an eine gebrauchte Rikscha der Gustav-Werner-Stiftung gelangt sind.
Diese sogenannten „Vorderlader“ sind vom Prinzip her nichts anderes, als ein Fahrrad mit einem Kasten vorne dran in welchem die Passagiere sitzen.
Nach nur einer Woche Fahrzeit war sofort klar, dass eine zweite her muss.

Fahrradtechnisch waren die „Vorderlader“ zwar sehr praktisch, entsprachen aber nicht gerade den Vorstellungen von Stefan Rickmeyer und Michael Zeuner.
Im Prinzip wollten die beiden immer ein klassische Rikscha fahren, d.h. der Fahrer sitz vorne und die Passagiere dahinter.

Und da die Alternativen nicht so groß waren, beschloss man kurzerhand eine solche Rikscha selber zu bauen.
Doch wie es nun mal so ist, man baut nicht von heute auf morgen eine Rikscha.
Es wurden zunächst die vorhandenen Rikschamodelle von deutschen Herstellern wie Velotaxi oder Velocab in Augenschein genommen.

Nachdem die Rikschas genau inspiziert wurden, war man der Meinung dass man diese grundsätzlich und wesentlich verbessern könnte.
Die Konzeption stand dann auch schnell und es wurde im rumänischen Arat eine Werkstatt eingerichtet, wo von nun an die eigenen Rikschas gebaut wurden.

Die eigentliche Entwicklungsarbeit läuft in Deutschland, genauer gesagt in einer Werkstatt in Tübingen ab.
Grund für die Auslagerung war hauptsächlich der Kostenfaktor.
Würde man die Rikscha in Deutschland bauen lassen, so müssten man mit einem Preis von über5.000,00 € rechnen.

Da die beiden jedoch selber bei der Gründung des Unternehmens spüren konnten, wie wenig Geld beim Start vorhanden ist, hat man sich auf einen Produktionsstandort außerhalb Deutschlands geeinigt.
Somit konnte man Existenzgründern zumindest vom Preis ein wenig entgegenkommen.

Ziel bei Radkutsche war es, unter dem Preis von 4.000,00 € netto zu bleiben.
Natürlich hat man hier zu Beginn auch versucht die ein oder anderen günstigeren Komponenten zu verbauen. Zum Beispiel wurden Ketten aus China verwendet.
Schnell war aber klar, dass hier am falschen Platz gespart wurde und man hat die auch gleich wieder verworfen.
Mittlerweile besitzen die Rikschas der Radkutsche fast nur Shimano-Komponenten.

Und dennoch ist der Preis unter der selbst auferlegten Grenze geblieben.
Die Rikscha kostet 3.999,00 € plus MwSt. Falls man einen Motor dazu möchte, kann man diesen für 1.200,00 € ebenfalls käuflich erwerben.

Zwischenzeitlich hat sich aber auch in der Rikschaszene herumgesprochen, dass die günstigen Modelle aus Indien nicht sehr empfehlenswert sind, auch wenn sie weniger Geld kosten.
Das Unternehmen Radkutsche hatte damals sogar noch mit den besten Modellen aus Indien angefangen, aber wie bereits erwähnt, wurde man damit nicht glücklich.
Noch billigere Modelle gibt es auch China. Diese können bereits innerhalb von 2 Wochen kaputt sein.

Interessanterweise eröffnete damals ca. 20 km vom Standort der „Radkutsche“ entfernt ein weiteres Unternehmen mit der gleichen Idee.
Dieses Unternehmen stieg mit zehn Rikschas ein und schnell wurden die Bedenken groß, dass dieses Unternehmen auch Tübingen seinen Service anbieten würde.
Es war dann aber so, dass bei dem anderen Unternehmen alle 2 Wochen eine Rikscha den Geist aufgab und somit der Fuhrpark stark dezimiert wurde.
Da Radkutsche zu dem Zeitpunkt höhere Kapazitäten benötigte, wurde kurzerhand von dem anderen Unternehmen eine ausgeliehen, was aber einer aufgrund der technischen Defizite nich praktikabel war.

Indische und chinesischen Rikschas basieren auf Motorradtechnik, also Motorradfelgen, Achsen, Lager, etc….einfach alles ist auf ein Motorrad abgestimmt und dementsprechend schwer.
Diese Rikschas sind zudem schwer zu fahren, vom Bremsen mal ganz abgesehen und würden hier in Deutschland wohl nie eine Zulassung erhalten.
Da Rikschas aber in Deutschland als Fahrrad eingestuft werden, bedarf es dieser hier nicht.

Radkutsche geht hier einen völlig anderen weg und verwendet für ihre Rikschas ausschließlich Fahrradkomponenten.
Vorgabe von Rickmeyer (Zeuner hat Riksch-Radsch übernommen und ich Radkutsche) war, dass man sämtliche Teile an der Rikscha in einem kleinen Fahrradladen oder in einer Fahrradwerkstatt tauschen und reparieren können muss.
Diese Vorgabe gilt von der Schaltung über die Bremsen bis hin zu den Griffen.

Ein weiterer Vorteil der Fahrradtechnik ist auch das Gewicht.
Während viele Hersteller noch immer Motorradfelgen wegen der hohen Stabilität verwenden, werden bei Radkutsche Fahrradfelgen aus dem Downhillbereich verwendet.
Diese sind heutzutage in vielen Bereichen wie Downhill, Dirtbike, Freeride, so stabil, dass sie ohne Probleme für eine Rikscha verwendet werden können.

„Vom Grundsatz her ist eine Rikscha fast wie ein Fahrrad“ gibt Stefan Rickmeyer an.
Der vordere Bereich ist nahezu mit einem Fahrrad identisch, nur in Sachen Stabilität unterscheidet sich hier die Rikscha vom Fahrrad.
Bei einer Rikscha entscheidet für die Kunden zusätzlich auch der optische Eindruck.
So ist man bei Radkutsche dazu übergegangen, die Rahmenrohre etwas dicker zu gestalten, was natürlich auch der Stabilität entgegenkommt.
Dies wäre eigentlich nicht notwendig, macht aber insgesamt einen stabileren Eindruck.
Theoretisch könnte man von der Stabilität her eine herkömmliche Downhillgabel in der Rikscha vorne verbauen.
Aber auch hier hat man die Gabel etwas überdimensioniert.

Von der Theorie, der Stabilität und der Sicherheit her, wäre eine Rikscha mit einem üblichen Fahrradrahmen auch möglich.
Von der Optik würde diese dann aber doch sehr zerbrechlich aussehen, obwohl dies nicht der Fall ist.

Auch muss man beim Bau noch ein paar weitere Dinge beachten.
Dies wäre zum Beispiel, dass man den Einstieg für die Passagiere sehr tief wählt.
Es sollte ja nicht so sein, dass eine Braut mit ihrem langen Kleid, erst ihr Bein über den Sattel schwingen muss um in die Rikscha zu gelangen.

In Bezug auf die Bremsen würden eigentlich V-Brakes völlig ausreichen.
Da man aber bei Radkutsche auf Nummer sicher gehen möchte werden hier in den Rikschas Scheibenbremsen verbaut.
Diese sind mit einer Größe von 203mm Durchmesser zwar deutlich überdimensioniert. Aber auch hier ging man ebenfalls den optischen Weg.
Ausreichend Bremskraft würde auch eine Scheibe mit 160mm Durchmesser bringen. Diese sieht dann aber optisch im Gesamtbild der Rikscha doch ein wenig klein aus.

Zudem werden auch auf die Wünsche bzw. Bedürfnisse der Kunden eingegangen. So verbaut man z.B. bei der Radkutsche seit geraumer Zeit auch Vorrichtungen für Sicherheitsgurte für die Passagiere.

Bei der Konstruktion einer Rikscha ist eines der größten Probleme die Kettenführung nach hinten.
Dies wäre eigentlich kein Thema, wenn, ja wenn da hinten nicht noch Personen sitzen würden.
Denn dann könnte man die Kette einfach gerade durchführen und das Problem wäre erledigt.
Da man aber der Kundschaft entgegenkommen und einen möglichst tiefen Einstieg haben möchte, muss man die Kette umleiten.
Dies alles funktioniert bei der Radkutsche über ein Getriebe. Bei anderen Herstellern wird dies über eine Rolle gelöst, was aber den Nachteil hat, dass durch die Reibung hier viel Kraft verloren geht.

In Bezug auf die Schaltung wird bei der Radkutsche eine Kettenschaltung verwendet, was den Vorteil hat, dass mit dieser auch unter Belastung ohne Probleme geschaltet werden kann.
Dies ist insofern wichtig, dass man beim Rikschafahren, also als Fahrer, immer daran denken muss, rechtzeitig vor einem Berg oder vor einer Ampel herunterzuschalten.
Vergisst man dies einmal ist das zwar anstrengend zum Anfahren aber dank der Kettenschaltung kann man schnell wieder einen oder zwei Gänge zurückschalten.
Bei einer Nabenschaltung müsste man kurz die Kraft auf die Schaltung wegnehmen, was am Berg aber nicht sonderlich empfehlenswert ist.

Wenn man dies alles so liest, könnte man fast meinen, dass die beiden Jungs von der Radkutsche sehr schnell ihre eigenen Rikschas gebaut haben.
Dies täuscht aber doch sehr.
Stefan Rickmeyer gibt hierzu an, dass man immerhin 2 Jahre Vorlaufzeit hatte und alles doch viel länger dauert als man denkt.

Einmalig dürfte bei der Radkutsche auch sein, dass diese jetzt eine Abnahme vom TÜV erhalten, bzw. diese vom TÜV machen lassen.
Dies ist zwar nicht vorgeschrieben, aber es hat sich gezeigt, dass Unternehmen die sich in diesem Bereich etablieren wollen, von den zuständigen Behörden daraufhin angesprochen werden.

Das Jahr 2009 ist ja leider auch bekanntlich das Jahr der Wirtschaftskrise.
Das Unternehmen ist aber eher ein Krisengewinner.
Man konnte feststellen, dass viele Menschen in Deutschland die eine feste Arbeit besitzen, Überlegungen anstellen, wie man parallel noch ein weiteres Einkommen realisieren kann.
Viele Kunden von der Radkutsche bauen nebenher noch einen Rikschafahrdienst auf.
Interessanterweise laufen die Unternehmen am besten, bei denen die Inhaber nicht ihren Lebensunterhalt davon bestreiten müssen.
So kann sich das Unternehmen langsam und kontinuierlich aufbauen, ohne jeglichem Druck in finanzieller Hinsicht ausgesetz zu sein.

Stefan Rickmeyer denkt hier gerne an die Anfänge seines Unternehmens zurück. Auch die Radkutsche ist langsam und sicher gewachsen.
„Es ist nahezu unmöglich von dem einen auf den anderen Tag ein Rikschaunternehmen in einer Stadt aufzubauen. Die Kunden müssen ja erst einmal davon Kenntnis erlangen und darüber informiert werden, dass man z.B. eine Rikschafahrt als Geburtstagsgeschenk verschenken kann“ erzählt Stefan Rickmeyer.

Zu den Fahrkunden die Rickmeyer und Zeuner durch Tübingen fahren, gehören nicht nur Touristen und Gäste.
Selbst einheimische lassen es sich nicht nehmen eine gut erklärte Stadtführung zu machen.
Die beiden setzen hier auf ein interessantes Konzept.
Viele Führungen werden von Geschichtsstudenten durchgeführt, die entsprechendes Wissen aufweisen und somit auf die Fragen der Kunden immer eine Antwort parat haben.

Und auch ins Fernsehen haben es die Jungs von der Radkutsche bereits geschafft.
So wurde zum Beispiel für die TV-Serie die „Rosenheim-Cops“ eine Rikscha zur Verfügung gestellt.

Die Folge wird am 27.04.2010 im ZDF ausgestrahlt, also unbedingt anschauen, es lohnt sich auf jeden Fall.

Auch auf der diesjährigen EuroBike konnte man insgesamt 6 Rikschas von Radkutsche fahren sehen.
Unter dem Moto „Kopf an. Motor aus“ waren die Jungs hier im Auftrag des Bundesumweltministeriums unterwegs.

Das Rikschageschäft ist ein reines Saisongeschäft, wie eben so vieles im Fahrradbereich.
Kunden die heute bei der Radkutsche eine Rikscha ordern, müssen sich mit der Auslieferung leider momentan bis Februar 2010 gedulden.
Stefan Rickmeyer kann in diesem Zusammenhang manche Existenzgründer nicht verstehen.
Seiner Meinung nach wird in diesem Bereich nicht allzu sehr geplant und so stehen des Öfteren Leute bei ihm vor der Tür und hätten gerne von heute auf morgen eine Rikscha, um ein Unternehmen aufzumachen.
Das solche schnellen Entscheidungen nicht gut gehen, liegt zwar manchmal auf der Hand, ist aber für Stefan Rickmeyer unverständlich.
Daher versucht er seine Kunden immer mehr dazu zu bewegen, Planungen aufzustellen und alles gründlich vorzubereiten.

Daher biete die Radkutsche ein sehr interessantes Konzept an.
Die beiden Jungs bieten dem interessierten Neueinsteiger ein Schulungssystem an, dass die folgenden Punkte umfasst:

  • behördliche Hürden (wie und in welcher Form melde ich mein Unternehmen an und welche Genehmigungen werden dafür benötigt)
  • Buchhaltung
  • Technikschulung an der Rikscha
  • Pressearbeit (wie gelangt man in die lokale Presse)
  • Homepage und Flyer Gestaltung
  • Werbepartnerakquise
  • Verdienstmöglichkeiten (Preissysteme)
  • Events planen, gestalten und durchführen

In diesem Schulungssystem vermitteln Stefan Rickmeyer und Michael Zeuner im Prinzip ihr ganzes Wissen und geben sowohl ihre positiven aber auch negativen Erfahrungen weiter.
Diese Vorgehensweise ist völlig ungewöhnlich, da man ja meist sein Wissen bzw. die Erfahrungen nicht unbedingt an potenzielle Konkurrenten weitergeben möchte.
Hier sind jedoch Rickmeyer und Zeuner anderen Meinung.
Sie geben ihr Wissen gerne weiter und wollen dadurch verhindern, dass Existenzgründer nicht die gleichen Fehler machen wie die beiden zu Begin der Gründung von „Riksch-Radsch“.

Weiterhin profitieren die beiden Jungunternehmer in Sachen Rikschbau natürlich auch auf die Erfahrungen, die sie als Rikschaunternehmen gemacht haben.
Typischerweise ist es ja so, dass die Rikschas von Ingenieuren konstruiert und im Anschluss daran gebaut und verkauft werden.
Wieder ein anderer kauft diese dann für sein Unternehmen und fährt damit.
Bei Radkutsche lief und läuft dies anders.
Begonnen hat man mit gekauften Rikschas und ist dann später auch in die Produktion übergegangen.
Somit ist das Unternehmen Radkutsche sowohl Konstrukteur, Produzent, aber auch Anwender von Rikschas.
Es werden hier beide Sparten, also der Bau und der Fahrdienst abgedeckt. Dies dürfte vermutlich einmalig sein in Deutschland.

Und vermutlich macht dies auch das ganze Unternehmen interessant.

Über den Autor

Lefdi

Hobbybiker und derzeit unterwegs mit einem All-Mountain "No Pogo 3" von Centurion.
Gerne auch mal zu Fuß in den Bergen unterwegs um die Natur zu genießen. PayPal-Kaffeespende an den Autor

3 Comments

  • Sehr geehrte Damen und Herren,

    in unserer Gegend feiert heuer der Naturpark 20 Jahre.
    Zu diesem Anlass moechte ich versuchen die Parkbesucher im Park mit einer
    Rikschafahrt überraschen.
    Ich denke an einem Versuch im Monat Juli 2010, mit einem ausgeliehnen
    Rikscha.
    Um die passende Route zu wählen, die erste Frage: welche Steigung
    schafft ein normaler Bürger (also kein Sportler) wie ich, mit 2
    Passegiere an Bord, auf asphaltierter Strasse, mit der serienmäßigen
    Gangschaltung?

    Ich bin sicher Sie haben Daten darüber, z.B. aus Erfahrungen von Fahrern
    aus Städten mit Unter- oder – überführungen.

    Frage 2, läßt sich eventuell eine Rikscha in einem normalen VW Bus
    transportieren?

    Danke für jede Antwort.

    Grüße aus Cortina d’Ampezzo.

    Sisto Menardi

    • Hallo Milan,
      mein Kollege hat diesen Atikel über „Die Rikschabauer“ geschrieben. Wir bei Rund ums Rad sind aber keine Händler, wir verkaufen grundsätzlich nichts. Rund ums Rad ist ein Onlinemagazine. Deshalb muss ich Dich leider enttäuschen. Für Dein Anliegen kannst Du Dich aber ganz bestimmt z. B. an die im Artikel benannte Werkstatt „Radkutsche.de“ (https://www.radkutsche.de/) wenden. Dort wird Dir sicherlich geholfen. Viel Erfolg und bleib gesund!
      Ela

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